Veröffentlicht am 18.12.2025 10:21

Zwischen Wahrheit und Gerechtigkeit

Rechtsanwalt Dr. iur. Josef Zeitler (Foto: red )
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Weihnachten ist das Fest der Hoffnung und der Besinnung auf das Wesentliche. Das Gesetz wird oft als Regelwerk aus kalten Paragrafen und harten Grenzen wahrgenommen. Doch im Erbrecht, wenn es um das Lebenswerk eines Menschen geht, lebt ein anderer Geist. Hier geht es um mehr als juristische Feinmechanik oder ökonomisches Kräftemessen zwischen Vertragspartnern. Es geht um den letzten, tiefsten Ausdruck einer Persönlichkeit. Das Erbrecht ist in seinem Kern der verlängerte Arm der menschlichen Freiheit über den Tod hinaus. Gerechtigkeit bedeutet hier nicht das starre Befolgen von Formvorschriften, sondern das Aufspüren und Durchsetzen dessen, was ein Verstorbener wirklich wollte. Der „wahre Wille“ entfaltet eine fast überjuristische Ausstrahlung, die Gerichte und Anwälte zur Besonnenheit zwingt.

„Meistens sind es die Worte, über die man streitet“
Arthur Schopenhauer brachte es einst treffend auf den Punkt: „Meistens sind es die Worte, über die man streitet.“ Dies gilt nirgendwo so sehr wie beim Testament. Mit einem „Letzten Willen“ regeln wir unsere Vermögensnachfolge, wir schaffen Ordnung für die Zeit, in der wir nicht mehr sind. Doch das Leben ist komplex, und die Sprache ist oft unzulänglich.

In privatschriftlichen Testamenten werden oft Begriffe verwendet, die juristisch ungenau sind. Da wird „vererbt“, „vermacht“ oder „übertragen“, ohne den Unterschied zu kennen. Aber auch juristisch ausgefeilte Testamente bieten umso mehr Streitpotential, je länger sie sind.

Es kann unvorhergesehene und vielleicht sogar unvorstellbare Entwicklungen geben, Wiederheirat, Adoptionen, politische Veränderungen, wie die Wiedervereinigung, oder bedachte Personen entpuppen sich Jahre später als Enttäuschung, oder das Vermögen erfährt eine drastische Veränderung. Was gilt dann? Das geschriebene Wort oder der Gedanke dahinter, der wahre Wille?

Der letzte Wille: mehr als nur Worte
Die Antwort der höchsten deutschen Gerichte ist eindeutig und macht Hoffnung. Das Bundesverfassungsgericht hat die Testierfreiheit wiederholt unter den Schutz des Grundgesetzes gestellt. Das bedeutet: Der Wille des Erblassers ist der oberste Maßstab.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seiner fundamentalen und ständigen Rechtsprechung klargestellt: Bei der Auslegung eines Testaments darf man nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, solange der wahre Wille irgendwie im Testament angedeutet ist. Ziel jeder Auslegung ist es, den wirklichen Willen des Erblassers zu erforschen. Selbst wenn der Wortlaut eines Testaments scheinbar eindeutig ist, aber nachgewiesen werden kann, dass der Verstorbene mit diesen Worten etwas ganz anderes gemeint hat, so gilt das Gemeinte, nicht das Geschriebene.

Das Gericht muss sich, bildlich gesprochen, in den Sessel des Erblassers setzen. Es muss dessen Denkweise, dessen Sprachgebrauch und dessen Wertvorstellungen zum Zeitpunkt der Niederschrift nachempfinden. Diese „wohlwollende Auslegung“ ist ein mächtiges Instrument der Gerechtigkeit. Sie korrigiert die Unzulänglichkeit der Sprache zugunsten der menschlichen Absicht.

Wenn eine Großmutter ihr „ganzes Geld“ an die Enkel verteilt, aber fast nur Wertpapiere besitzt, entscheidet das Gericht oft: Die Wertpapiere sind gemeint, auch wenn sie juristisch kein Bargeld sind. Der Wille, zu geben, zählt mehr als die falsche Vokabel. Wird auf einem Notizzettel handschriftlich mit Unterschrift verfügt, „Schnucki bekommt alles – Unterschrift“, so wird dieser Zettel zum wirksamen Testament, auch wenn er nicht wie eine Urkunde aussieht – sofern der Wille zur Rechtsbindung zweifelsfrei ist.

Wahrhaftigkeit und ihre Grenzen
Diese Suche nach dem wahren Willen schafft Vertrauen. Sie zeigt, dass das Erbrecht den Menschen sieht und nicht nur die Akte. Doch Wahrhaftigkeit ist nicht immer gleichbedeutend mit Gerechtigkeit. Ein Erblasser kann in seinem wahren Willen auch ungerecht sein, er kann treue Kinder enterben oder schikanöse und boshafte Anordnungen treffen.

Hier zeigt sich die Weisheit des Erbrechts erneut. Es akzeptiert den freien Willen, baut aber Leitplanken ein. Das Pflichtteilsrecht sichert beispielsweise nächsten Angehörigen eine Mindestteilhabe am Familienvermögen. Kinder haben die Wahl zwischen einem beschwerten bzw. beschränkten Erbteil und dem Pflichtteil als sofort fälligen Zahlungsanspruch. Auch bei sittenwidrigen Bedingungen greift das Gesetz korrigierend ein. Wenn der wahre Wille dazu dient, andere wirtschaftlich zu vernichten oder durch Bedingungen zu knebeln, zieht der Rechtsstaat eine Grenze. Eine völlig unvorhergesehene Erbfolge kann möglicherweise durch lenkende Ausschlagungen korrigiert werden.

So bleibt am Ende die Botschaft: Sorgen Sie vor. Formulieren Sie Ihren Willen. Aber haben Sie auch Vertrauen, dass unser Rechtssystem im Ernstfall alles daransetzen wird, Ihrem wahren Willen Geltung zu verschaffen – über den Tod hinaus.

Bestens beraten.
www.zeitler.law

Rechtsanwalt Dr. iur. Josef Zeitler

Fachanwalt für Erbrecht & Familienrecht

Karl-Marx-Straße 7 - 95444 Bayreuth

    Telefon: 0921/15 13 79-7


    Von red
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