Veröffentlicht am 17.07.2025 19:24

„Bayreuth ist ein Mythos“

Thomas Eitler-de Lint ist ab dieser Festspielsaison neuer Chordirektor. 	 (Foto: Bayreuther Festspiele )
Thomas Eitler-de Lint ist ab dieser Festspielsaison neuer Chordirektor. (Foto: Bayreuther Festspiele )
Thomas Eitler-de Lint ist ab dieser Festspielsaison neuer Chordirektor. (Foto: Bayreuther Festspiele )
Thomas Eitler-de Lint ist ab dieser Festspielsaison neuer Chordirektor. (Foto: Bayreuther Festspiele )
Thomas Eitler-de Lint ist ab dieser Festspielsaison neuer Chordirektor. (Foto: Bayreuther Festspiele )

Mit der Saison 2025 beginnt in Bayreuth ein neues Kapitel: Thomas Eitler-de Lint übernimmt die Leitung des Festspielchores – ein Amt mit großer Tradition und ebenso großen Erwartungen. Er folgt auf Eberhard Friedrich, der den Chor über zwei Jahrzehnte geprägt hat. Zugleich steht der neue Chordirektor vor einer strukturellen Neuausrichtung, die unter dem Druck wachsender Kosten und im Zeichen künstlerischer Erneuerung steht. Im Interview spricht er über Verantwortung, Klangideale – und die Chancen, die in der Veränderung liegen.

Herr Eitler-de Lint, Sie übernehmen den Chor in einer Zeit des Umbruchs. Was bedeutet diese Aufgabe für Sie ganz persönlich?
Thomas Eitler-de Lint: Für mich ist das die Krönung meiner bisherigen Laufbahn. Ich beschäftige mich seit meiner Jugend mit Richard Wagner. Schon mit 18 war ich in Bayreuth – als Besucher, später als Assistent. In Leipzig durfte ich 2022 den gesamten „Wagner 22“-Zyklus betreuen. Wagner begleitet mich mein ganzes Leben. Jetzt den Festspielchor in Bayreuth zu leiten, ist ein großes Geschenk – und eine Aufgabe, die ich mit großem Respekt annehme.

Sie treten in große Fußstapfen – Ihre Vorgänger prägten den Chor über Jahrzehnte. Wie gehen Sie mit diesem Erbe um?
Thomas Eitler-de Lint: Ich habe eine sehr klare Vorstellung davon, wie der Chor in Bayreuth klingen soll. Dieser spezielle „Bayreuth-Klang“ hat mich schon als Assistent geprägt. Ich möchte ihn weiterentwickeln, aber auch erhalten. Für mich bedeutet das: körperbetonte, tragfähige Stimmen mit dunklem Timbre – ideal für Wagners Musik.

Sie haben jede Stimme im Vorsingen einzeln gehört. Worauf haben Sie besonders geachtet?
Thomas Eitler-de Lint: Mir sind drei Dinge wichtig: saubere Intonation, wenig Vibrato und eine belastbare Technik. Wagner verlangt viel – lange Partien, große Orchester, hoher stimmlicher Druck. Dazu kommt die Akustik des Festspielhauses. Die Stimmen müssen tragfähig sein, auch über einen ganzen Sommer
hinweg.

Der Chor ist künftig in Haupt- und Sonderchor aufgeteilt. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?
Thomas Eitler-de Lint: Für mich macht das keinen Unterschied. Alle Sängerinnen und Sänger werden gleich behandelt und sollen das gleiche hohe Niveau erreichen. Je nach Oper oder Szene braucht es unterschiedlich viele Stimmen – mal 24, mal über 130. Entscheidend ist immer: Der Klang muss passen.

Im Vorfeld gab es Diskussionen um die neue Struktur. Wie sehen Sie die Veränderungen?
Thomas Eitler-de Lint: Ich trage die Entscheidung voll mit. Es war ein gemeinsamer Prozess mit Frau Wagner. Viele Szenen brauchen gar keinen riesigen Chor – bei den Blumenmädchen etwa reichen 24 Stimmen. Aber wenn 134 gebraucht werden, sind sie da. Es geht darum, flexibel zu
bleiben und der Partitur gerecht zu werden.

Lässt sich unter diesen Bedingungen der „Bayreuth-Klang“ bewahren?
Thomas Eitler-de Lint: Absolut. Das ist möglich. Es ist mein Ziel.

Was macht Wagners Chormusik besonders herausfordernd?
Thomas Eitler-de Lint: Man muss die deutsche Sprache sehr gut aussprechen können – gerade Konsonanten müssen in Bayreuth besonders deutlich gesungen werden, wegen der speziellen Akustik. Außerdem braucht man eine ausgezeichnete Technik, um die Belastung auszuhalten. Und man muss sich klanglich einfügen können – der Chor ist ein Kollektiv, keine Sammlung von Solisten.

Im Chor singen Menschen aus der ganzen Welt. Wie wirkt sich das aus?
Thomas Eitler-de Lint: Das ist wunderbar! Wir haben Sängerinnen und Sänger aus allen Kontinenten – Chile, Kanada, Finnland, Neuseeland, Südafrika, Asien. Sie alle bringen unterschiedliche Stärken mit, lernen voneinander und ziehen gemeinsam an einem Strang. Die Liebe zur Musik verbindet uns.

Sie waren viele Jahre in Leipzig tätig. Was bringen Sie aus dieser Zeit mit?
Thomas Eitler-de Lint: Sehr viel Wagner-Erfahrung! In Leipzig haben wir regelmäßig Wagner-Opern erarbeitet – über Jahre hinweg, bis zum großen „Wagner 22“-Projekt. Der Chor dort hat alle Wagner-Opern gesungen, viele davon mehrfach. Ich habe dabei auch selbst sehr viel gelernt. Und das Lernen hört nie auf.

Was unterscheidet Bayreuth von anderen Opernhäusern?
Thomas Eitler-de Lint: Bayreuth ist ein Mythos. Jeder hier – vom Techniker bis zum Dirigenten – arbeitet mit größter Hingabe. Das spürt man im ganzen Haus. Alle wollen das Beste. Diese Atmosphäre habe ich so noch nirgends erlebt. Auch der Chor bringt hier in wenigen Tagen so viel auf die Bühne wie anderswo in Monaten.

Ihre Vorgänger waren jahrzehntelang im Amt. Welche langfristigen Ziele haben Sie?
Thomas Eitler-de Lint: Ich möchte eine gesunde Balance im Chor: erfahrene Sängerinnen und Sänger, die Tradition weitergeben, und neue Stimmen, die frischen Schwung bringen. Motivation ist mir wichtig – ich will inspirieren, mitreißen, ein positives Vorbild sein. Die technischen Grund-
lagen sind überall ähnlich, aber der Umgang miteinander, der Ton macht den Unterschied.

Haben Sie eine Lieblingsoper von Wagner?
Thomas Eitler-de Lint: Emotional berühren mich „Parsifal“ und die „Meistersinger“ am meisten. Die „Meistersinger“ begleiten mich seit langem – es war die erste Oper, die ich in Bayreuth gesehen habe, die erste, bei der ich hier assistierte, und nun meine erste Produktion als Chorleiter. Das ist etwas Besonderes für mich.

Welche Oper ist für den Chor die größte Herausforderung?
Thomas Eitler-de Lint: „Lohengrin“ in diesem Jahr ist sehr anspruchsvoll, weil der Chor kaum von der Bühne kommt. Noch mehr wird es nächstes Jahr mit „Rienzi“. Die „Meistersinger“ sind körperlich besonders fordernd, wegen der szenischen Anforderungen. Aber bei einem guten Regieteam geht das Singen und Spielen Hand in Hand.

Wie glauben Sie, wird das Bayreuther Publikum Sie aufnehmen?
Thomas Eitler-de Lint: Das weiß ich nicht. Ich hoffe, offen und neugierig – vielleicht auch Skepsis. Aber wir wollen gute Arbeit machen – dann überzeugt das hoffentlich auch die Kritiker. Die Stimmung im Haus ist jedenfalls sehr gut – eine wichtige Grundlage.


Von Gabriele Munzert
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