Ethik, so definiert es Wikipedia, befasst sich mit menschlichem Handeln. Das Wort stammt aus dem Griechischen und wird mit „das sittliche Verständnis” übersetzt. Für den Gelehrten Aristoteles stand das menschliche Handeln im Mittelpunkt der Ethik. Und heute? Was passiert, wenn eine 18-jährige schizophrene Schwangere nicht darüber informiert wird, dass ihr Kind nach der Geburt sofort weggenommen wird? Was, wenn ein psychisch Kranker eine Fußamputation benötigt, der Betreuer dies aber nicht befürwortet? Wie handelt man in der Medizin, wenn solche Fragen zum richtigen Handeln auftauchen? Seit fünf Jahren gibt es ein Ethikkomitee am Bezirkskrankenhaus, das das medizinische Personal in solchen kritischen Fragen beraten kann. Die Herausforderungen und Schwierigkeiten ihrer Arbeit präsentierten und diskutierten sie nun beim ersten Bayreuther Ethik-Tag.
Ethisches Handeln, so betonte Bezirkstagspräsident Henry Schramm bei der Veranstaltung, sei besonders in einer Klinik wichtig. Und GeBO-Vorständin Eva Gill unterstrich, wie wichtig Haltung und Würde gerade in einer Psychiatrie seien. Die Frage nach dem richtigen Handeln, das nicht nur medizinische, sondern auch gesellschaftliche Aspekte berücksichtigt, trage dazu bei, die Qualität der Behandlung zu steigern, sagte der leitende Ärztliche Direktor Professor Thomas Kallert.
Das Ethikkomitee am Bezirkskrankenhaus tritt in Erscheinung, wenn seine Expertise benötigt wird, erklärte Dr. Johannes Kornacher vom Komitee – und steht dann beratend zur Seite. Die endgültige Entscheidung über eine Behandlungsart liegt immer beim behandelnden Arzt, die Mitglieder des Ethikkomitees können lediglich Denkanstöße liefern. Diese richten sich nach den immer gleichen Prämissen: Selbstbestimmung des Patienten, Nutzen oder Fürsorge für den Patienten, Nicht-Schaden für den Patienten, Gerechtigkeit. Die Psychiatrie steht hier vor noch größeren Herausforderungen als die Somatik, da es hier immer auch um Selbstbestimmung, Grenzen und Begrenzungen geht. „Psychiatrie ist mit den Lebensfragen noch einmal anders verknüpft als die Somatik, seelisch gesund sein, das ist immer auch eine moralische Bewertung”, so Kornacher.
Ein besonderer Bereich ethischer Fragestellungen ist auch die Gerontopsychiatrie, verdeutlichte Dr. med. Christian Mauerer, Leiter der Gerontopsychiatrie am Bezirkskrankenhaus Bayreuth. Weil Alter mit Angst einhergeht, mit Verlust, mit Sterben und Tod. Auch mit dem gewollten Tod, dem Sattsein vom Leben. Und damit immer auch mit der Frage, wie viel Behandlung ist geboten? Wie viel ist notwendig? Wie viel ist sinnvoll? „Sterben muss man aushalten können”, sagt Mauerer. Auch das ist eine Frage nach dem guten, nach dem ethischen Handeln. Es gilt immer zu berücksichtigen, was der Patient will – oder wollte, als er zum Beispiel noch nicht von einer Demenz gezeichnet war. „Jeder Mensch hat ein Recht auf Selbstbestimmung.” Und: „Unser Ziel ist nicht das Maximum an medizinischer Leistungsfähigkeit, sondern das höchstmögliche Maß an Lebensqualität.”
Ethisches Handeln ist immer auch dem Zeitgeist unterworfen. Das kann ein guter sein (Stichwort Psychiatrie-Enquete in den 1970er Jahren) oder ein schlechter (T4-Aktion im Dritten Reich, gesetzliche Einschränkungen für die Behandlung). Umso wichtiger ist es, Experten für ethische Fragestellungen zu haben, strukturiert und professionalisiert zu diskutieren.
Aber zurück zu der schizophrenen Schwangeren und dem Mann, dessen Fuß amputiert werden sollte. Beispiele wie diese brachte Professor Alfred Simon, Leiter der Geschäftsstelle der Akademie für Ethik in der Medizin, in seinem Vortrag. Seine zentrale Frage war, ob es zulässig sei, in den Willen des Patienten einzugreifen, wenn es beispielsweise um lebensrettende Maßnahmen geht? „Wenn der Patient diese ablehnt, haben wir keine Möglichkeit, das zu beeinflussen”, so Simon. Die Herausforderung in der Psychiatrie sei hier aber immer auch, dass psychische Erkrankungen mit einer Einschränkung der Selbstbestimmungsfähigkeit einhergehen können. Die Entscheidungen in solchen Fragen müssen immer gut durchdacht und abgewogen werden. Der Fuß wurde nicht amputiert. Die junge Schwangere wurde informiert, dass ihr Kind in Obhut gegeben werden wird.
Eine Podiumsdiskussion zum Abschluss des Ethik-Tages, moderiert von Micha Götz, zeigte noch einmal aus verschiedenen Perspektiven, dass schon sehr viel richtig gemacht wird, wenn ethische Fragen in einer Behandlung diskutiert werden – und dass es dennoch Verbesserungspotenzial gibt.
Der erste Bayreuther Ethik-Tag verdeutlichte vor allem eines: Ethik verändert. Das Denken. Das Handeln. Ansichten und Einsichten. Den Umgang miteinander und die Sichtweise auf den Patienten.