Die Arthrose, der Gelenkverschleiß, ist eine häufige Erkrankung, die im Laufe des Lebens fast jeden Menschen betrifft. Sowohl Operationsmethoden als auch Implantate haben sich in den letzten Jahren im Bereich des Kniegelenk-Ersatzes gering verändert. Neu auf dem Markt sind navigierte Roboter-Operationen zur Planung und zum Einbringen der Kniegelenk-Prothesen. Dr. med. Tim Klopfer, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie spezieller Unfallchirurg mit langjähriger Erfahrung im Bereich der Knie- und Hüftendoprothetik, beantwortet Fragen rund um die aktuellen technologischen Möglichkeiten und deren Nutzen.
Wie können wir uns eine Roboter-navigierte Operation vorstellen?
Dr. med. Tim Klopfer: Zu Beginn des Eingriffes wird ein Roboter-Arm, welcher eine präzise Säge führt, am Operationstisch befestigt und es werden Sonden im Ober- und Unterschenkel temporär eingebracht. Über diese Sonden sowie eine Computergestützte Infrarot-Kamera können wir zuerst eine Bestandsaufnahme durchführen. Es werden einige Bewegungen durchgeführt und genau definierte Punkte im Kniegelenk erfasst, sodass sich der Computer ein genaues 3D-Modell für die weitere Planung und Durchführung erstellen kann. Wir können dann direkt im OP an einem Bildschirm Einstellungen tätigen und folgend mit Hilfe des Roboters die Sägeschnitte auf den Millimeter genau durchführen. Für das Verständnis ist es wichtig, dass man etwas unterscheidet: zum einen haben wir die Navigation unter Einbeziehung der Band-Spannungen im Gelenk bei jeder Bewegung. Dies ist für die Planung und Erfassung der individuellen Problematik wichtig. Die Navigation selbst gibt es bereits seit vielen Jahren und hat sich auch stetig weiterentwickelt. Zum anderen haben wir aber nun anschließend den Roboter. Dieser ist letztlich eine Säge an einem mobilen Arm am Operationstisch (s. Abb.). Dieser wird vom Operateur gehalten, der Roboter führt die Säge jedoch auf allen Achsen zielgerichtet nach der Planung. Auch Bewegungen des Beines während der Operation werden innerhalb von Millisekunden erfasst und ausgeglichen. So können wir tatsächlich ein 100%-Ergebnis zur Planung am Bildschirm erreichen.
Ein 100%-Ergebnis klingt nach dem Heiligen Gral der Knie-Endoprothetik, werden zeitnah alle Kniegelenke so eingebracht?
Dr. med. Tim Klopfer: Nein, das denke ich nicht. In einem Standard-Fall haben wir auch sehr gute Ergebnisse mit den konventionellen Methoden, also Operationen ohne Computer und Roboter. In meinem Patientenkollektiv sehe ich in der Regel keine direkten Unterschiede zwischen den Patienten in den ersten Nachkontrollen, bezogen auf die Zufriedenheit und Mobilität, so auch in den meisten Studien. Weiterhin bietet das roboter-navigierte Verfahren auch einige Einschränkungen und Erschwernisse. Wir brauchen in der Regel mehr Operationszeit und Vorbereitungszeit. Neben diesem Aufwand müssen auch die Kosten für das System erwähnt werden. Die Erfahrung des Operateurs ist auch weiterhin nicht zu unterschätzen. Falsche Einstellungen im System, eine falsche Ausrichtung oder Manipulationen an den Sensoren während der OP, können zu Fehlschnitten führen. Trotz allem sehe ich viele positive Anwendungsfälle für die Navigationsroboter. Für Einsteiger in die Knieendoprothetik ist es ein absolut hilfreiches Tool. Was bisher erst nach jahrelanger Operations-Erfahrung und viel Gefühl möglich war, kann nun mit einer schnelleren Lernkurve und nachvollziehbaren Parametern erlernt werden. Aber auch wenn man eine gewisse Erfahrung hat, gibt es aus meiner Sicht Anwendungsfälle, bei welchen ich den Roboter nicht mehr vermissen möchte: Stattgehabte Trümmerfrakturen und Fehlstellungen an den Ober- oder Unterschenkelknochen, Bandinstabilität, höhergradige Fehlstellungen, durchgeführte Umstellungen in der Vorgeschichte. Es gibt also viele Gründe, die eine klare Rechtfertigung für die Technik darstellen und ich bin sehr glücklich darüber, dass wir als eine der ersten Kliniken in Deutschland das modernste Roboter-Navigations-System nutzen können. Bei einem Standard-Arthrose-Knie würde ich in der Regel aber tatsächlich noch zur konventionellen Technik greifen, bis die o.g. Punkte ausgeräumt sind.
Sie sprachen auch die Kosten des Systems an, wie hoch sind diese denn und wer muss diese tragen?
Dr. med. Tim Klopfer: Genaue Zahlen für die Anschaffung des Systems kann ich nicht nennen. Es gibt unterschiedliche Konzepte von Kauf bis Leasing und wird auch von der Menge der Implantationen der Klinik abhängen. In der Regel entstehen Mehrkosten pro Patient von ca. 400 bis 1.000 Euro, rein für die Technologie an den Hersteller. Diese werden aktuell durch die gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen und müssen vom Patienten getragen werden. Bei privaten Krankenkassen ist es abhängig vom Vertrag und sollte vor dem Eingriff abgeklärt werden. Sollte eine klare medizinische Indikation bestehen, würde ich immer eine Rücksprache mit dem Versicherer empfehlen (gesetzlich und privat).
Immer mehr Technik und Innovationen, wird der Operateur verschwinden?
Dr. med. Tim Klopfer: Langfristig gesehen ist sicherlich alles möglich. In den nächsten Jahrzehnten wird die Welt aber noch auf erfahrene Ärzte angewiesen sein, so meine Prognose. Man darf die aktuelle Technik auch nicht überschätzen. Ein präziser Sägeschnitt ist hilfreich und kann Ergebnisse verbessern und zuverlässig erzeugen. Der Weg dorthin ist das komplizierte. Das Gelenk zu öffnen, verschiedene Schichten zu erkennen, präparieren und schonend mit diesen umzugehen, dass ist die eigentliche Kunst. Hier sind so viel Feingefühl und Erfahrung erforderlich. Das wird sicherlich noch viele Jahre benötigen, bis wir an einen Punkt kommen, wo wir die gesamte Medizin an Technik übergeben können. Aber es bleibt spannend und ist äußerst wichtig, dass auch wir Mediziner immer auf dem aktuellen Stand der Technik bleiben.