Veröffentlicht am 28.09.2025 13:14

Goldene Stimmen unter dem Scheunendach

Wirbenz Meisterinnen des Gesangs (Foto: Wolfgang Hübner)
Wirbenz Meisterinnen des Gesangs (Foto: Wolfgang Hübner)
Wirbenz Meisterinnen des Gesangs (Foto: Wolfgang Hübner)
Wirbenz Meisterinnen des Gesangs (Foto: Wolfgang Hübner)
Wirbenz Meisterinnen des Gesangs (Foto: Wolfgang Hübner)

Es war ein unvergesslicher Abend. Zum zweiten Mal war die Internationale Musikbegegnungsstätte Haus Marteau zu Gast im Speichersdorfer Ortsteil, diesmal mit ihrem Meisterkurs für Gesang. Zehn junge Künstlerinnen, die vier Tage lang von Professorin Ulrike Sonntag unterrichtet wurden, hatten sich auf die große Bühne vorbereitet. Mit Leidenschaft gaben sie das Wissen, die Technik und den Ausdruck zurück, die ihnen vermittelt worden waren.

Begrüßung mit Weitblick

Bürgermeister Christian Porsch begrüßte die rund 70 Gäste, bevor die ersten Töne erklangen. Er erinnerte daran, dass erst im Vorjahr der Klavier-Meisterkurs Wirbenz auf die Kulturkarte gesetzt hatte - nun also die junge Gesangselite. Dass für diesen Abend eigens ein Flügel vom Bayreuther Musikhaus Schmidt nach Wirbenz gebracht wurde, zeige den Stellenwert, den die Reihe „Haus Marteau auf Reisen” genieße. Porsch dankte Sophie Zeus vom Bezirk Oberfranken für die Koordination und lobte den Verein Kulturscheune e.V. und dessen Vorsitzenden Sebastian Graf: „Ohne euer Engagement wäre dieser Schatz nicht möglich.” Er wagte auch einen Blick in die Zukunft: Truckstop, Josef Menzel, die Kleinen Egerländer und die Brettl Spitzn seien bereits gebucht - „Wirbenz bleibt bunt!”

Dann übernahm Ulrike Sonntag. Mit Charme, Eleganz und einem Augenzwinkern führte sie durch das Programm. Sie erklärte die Texte, verknüpfte Biographisches mit Anekdoten und ließ Goethe, Rückert oder Rilke lebendig werden. Immer wieder dankte sie der Gemeinde und dem Bezirk: „Kultur braucht Raum - und hier wird er ihr gegeben.”

Erster Teil – ein Mosaik der Emotionen

Den Auftakt bildete Mendelssohns „Herbstlied“: Theresa Praxmarer (Sopran, Wien) und Maria Shebzukhova (Mezzosopran, Düsseldorf/Wien) schufen ein zartes Duett, das die herbstliche Melancholie fein auskostete. Praxmarer, mit klarem, geradem Ton und in schlichtem dunklen Kleid, überzeugte später auch mit Schumanns „Widmung“ – ein Lied von Liebesglut, das sie ohne Sentimentalität, dafür mit festem Herz sang.

Besonders berührend: Negin Razzaghi Kamroudi aus dem Iran (Hamburg). Ihr „Nur wer die Sehnsucht kennt“ (Schubert) klang wie ein persönliches Bekenntnis, getragen von Sehnsucht und Wehmut, während ihre Gestik – eine leichte Handbewegung, ein gesenktes Haupt – das Heimweh fast greifbar machte.

Lena Kühn (München) verströmte Leichtigkeit und klangliche Wärme. In Ullmanns „Sein erster Kuss“ legte sie feine Nuancen in die Phrasen, während sie in Richard Strauss’ „Schlagende Herzen“ die Leidenschaft förmlich in den Raum schleuderte. Einen jugendlichen Gegenpol setzte Erika Decker Romeu (Köln). Die jüngste Teilnehmerin, mit offenen Gesten und fast mädchenhaftem Elan, präsentierte Wolf und Mozart gleichermaßen frisch. Ihr „Alleluja“ aus „Exsultate jubilate“ wurde zum ersten großen Höhepunkt – zwei Oktaven voller Freude, gekrönt von strahlender Höhe, die das Publikum frenetisch bejubelte.

Maria Shebzukhova, in schwarzer Hose und weißer Bluse, zeigte große Bühnenpräsenz. Mit Mozart und später Gounod war sie nicht nur Stimme, sondern ganze Figur: ihre Mimik funkelte, ihre Bewegungen waren klar, präzise, einstudiert – und doch sprühend vor Energie.

Mediterranes Feuer brachte Montserrat Boixadera (Barcelona) nach Wirbenz. In Haydns Grilletta ließ sie den Lebemann Volpino charmant abblitzen, ihr Spielwitz blitzte durch die Augen. Später in Lehárs „Einer wird kommen“ war ihre Stimme von sehnsüchtiger Glut erfüllt – und doch blieb sie stets elegant.

Als Musetta in Puccinis „Quando m’en vo“ glänzte Yingzi Xia (China/München). Mit sicherem Auftreten, tänzelnder Gestik und einem Lächeln, das die Männerblicke geradezu heraufbeschwor, verkörperte sie Musettas Koketterie. Dass sie am Ende mit Bellinis „Qui la voce“ den Abend beschloss, war folgerichtig: hier verband sie lyrische Süße mit dramatischer Wucht, bis die Scheune förmlich bebte. Eva Degitz (Heidelberg/Saarbrücken) brachte mit Haydns „Nun beut die Flur“ einen frühlingshaften Moment in den Herbstabend. Klar, hell, fast jugendlich sang sie vom Aufblühen der Schöpfung – ein wohltuender Kontrast zu den schweren Opernarien.

Frisch, lebendig, mit tänzerischem Schwung überzeugte Camille Caradeuc (Annecy/Berlin) bei Händels „Tornami a vagheggiar“. Später ließ sie in Donizettis „Chacun le sait“ die Soldatentochter Marie mit Lust und Stolz aufleben – ein Hauch französischer Eleganz mit fränkischer Bodenhaftung.

Zweiter Teil – Feuerwerk der Oper

Nach der Pause ging es Schlag auf Schlag. Das Spektrum reichte von Massenets heiterer Sophie über Mozarts listige Susanna bis hin zu Verdis Pagen Oscar. Jeder Auftritt wirkte wie ein neues Kapitel einer bunten Opernchronik.

Theresa Praxmarer gewann mit Mozarts Susanna an Tiefe – ein Augenzwinkern, ein zarter Blick über die Schulter, ein Spiel mit dem Publikum. Maria Shebzukhova zeigte mit Gounods Stéphano draufgängerische Frechheit, während Negin Razzaghi mit Donizettis „Il faut partir“ einen stillen, fast gebrochenen Moment schuf – das Publikum hielt den Atem an.

Erika Decker Romeu brachte Verdis Oscar zum Funkeln: leichtfüßig, charmant, fast schelmisch. Lena Kühn setzte mit „Volta la terrea“ kraftvolle Akzente, während Montserrat Boixadera mit Lehár die Brücke zur Operette schlug – und das Publikum hörbar seufzen ließ.

Dann kam das große Finale: Yingzi Xia als Elvira in Bellinis „I puritani“. In ihrem zarten Kleid, mit ausdrucksstarker Gestik, sang sie sich in einen Rausch – zwischen Wahnsinn und Liebe, Verzweiflung und Sehnsucht. Ein Gänsehautmoment, der die Kulturscheune noch lange nachhallen ließ.

Ein Abend der Zukunft

So endete ein Abend, der mehr als nur ein Konzert war. Er war ein Versprechen. Ein Versprechen, dass Stimmen aus aller Welt auch in kleinen fränkischen Dörfern Gehör finden. Bürgermeister Porsch hatte Recht, als er sagte: „Die Kulturscheune ist unser kulturelles Wohnzimmer.“ An diesem Abend war sie jedoch zugleich Opernhaus, Weltbühne und Zukunftswerkstatt.


Von Onlineredaktion
LV
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