Veröffentlicht am 08.02.2021 15:34
Veröffentlicht am 08.02.2021 15:34

Corona-Virus in Bayreuth: Die Ausgebrannten

Corona-Virus in Bayreuth: Die Ausgebrannten (Foto: red)
Corona-Virus in Bayreuth: Die Ausgebrannten (Foto: red)
Corona-Virus in Bayreuth: Die Ausgebrannten (Foto: red)
Corona-Virus in Bayreuth: Die Ausgebrannten (Foto: red)
Corona-Virus in Bayreuth: Die Ausgebrannten (Foto: red)

BAYREUTH.

Der eigene Job, möglicherweise im Homeoffice, Kinderbetreuerin, Animateurin, Haushalt – und jetzt auch noch Lehrerin, wenn Kinder im Homeschooling am Küchentisch sitzen. Die Last, die Corona den Familien, den Frauen, aufdrückt, stieg und steigt nach wie vor. Seit den Sommermonaten werden im Bezirkskrankenhaus Bayreuth vermehrt Frauen behandelt, die aufgrund der aktuellen Belastung einfach nicht mehr können. Dr. med. Stephanie Tieden, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und Oberärztin auf der Depressionsstation, erklärt, was Corona mit den Müttern macht.

„Mütter sind mit ihrer Kraft am Ende”

„Viele Mütter sind aktuell am Ende ihrer Kräfte angelangt, die langen Monate mit der Corona-Pandemie wirken sich jetzt doch bei der Allgemeinheit der Familien entsprechend negativ aus. Die gesamte Bevölkerung - ob jung ob alt, ob ledig oder in Familie zusammenlebend - musste sich jetzt ja schon sehr lange mit vielen Einschränkungen des Lebens, vielen Veränderungen und Belastungen und auch mit vielen Ängsten und Sorgen befassen. Das ist ja an vielen von uns nicht spurlos vorbeigegangen, fast jeder leidet in irgendeiner Form unter der aktuellen Situation”, erklärt Stephanie Tieden, Oberärztin in der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Bezirkskrankenhaus Bayreuth.

Insbesondere Familien mit Kindern sind ganz besonders natürlich auch von den vielen Einschränkungen in den Betreuungsmöglichkeiten der Kinder zusätzlich belastet.

Es geht nicht nur darum, die Kinder „irgendwie zu betreuen“, sondern, dass es den Kindern auch gut geht.

Kinderbetreuung und Homeoffice

„Auch die Ausgleichsmöglichkeiten in der Freizeit sind sehr beschränkt, man kann als Familie am Wochenende nicht mehr in das Wildtiergehege, ins Schwimmbad oder Kinderkino gehen. Die Spielplätze waren im ersten Lockdown ganz zu, jetzt ist man beschäftigt, darauf zu achten, dass die Kinder genügend Abstand zu anderen Kindern halten und muss den Kindern erklären, warum sie auf einmal eben nicht mehr wie früher einfach mit allen anderen Kindern unbeschwert spielen dürfen. Auch die Kinder leiden stark unter Corona, unter den eingeschränkten Kontakten zu anderen Kindern und zu älteren Familienangehörigen. Auch hier müssen die Eltern ja viel emotional abpuffern. Dass ist für Eltern psychisch nicht einfach. Wenn dann auch noch die Ansprüche von Homeschooling, Betreuung und Homeoffice parallel und weiterhin die Ansprüche der normalen Alltagsabläufe hinzukommen, ist man schnell einfach komplett am Ende seiner Kräfte. Wäsche, Haushalt, Kochen, Einkauf – das ist ja alles nicht weniger geworden, sondern weiterhin auch da”, erklärt die Oberärztin.

Nicht in allen Familien sind es nur die Mütter, die die ganze Last tragen. Aber häufiger sind derzeit die Mütter, die die Last der Pandemie tragen. Viele Männer arbeiten unverändert in Vollzeit weiter.

„Auch in Familien, wo beide Elternteile arbeiten, sind es häufig die Frauen, die die Organisationsleistung übernehmen und die Abläufe im Familienleben koordinieren – Stichwort „mental load“. Gerade hier in Süddeutschland sind die klassischen Rollenbilder mit dem Vater als Vollzeitverdiener und der Mutter als Hausfrau oder maximal in Teilzeit arbeitend, noch mehrheitlich zu finden. Es war schon vor Corona für viele Frauen gar nicht so einfach, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. Ohne Unterstützung von Partner und weiteren Unterstützern (wie zum Beispiel Großeltern vor Ort) ist es de facto oft einfach aufgrund der mangelnden Strukturen bezüglich qualitativ hochwertiger Kinderbetreuung gar nicht anders möglich, dass nicht einer – eben meist die Mutter – beruflich zurückstecken und reduzieren muss. Ich selbst könnte als Mutter einer Tochter im Kindergarten-Alter auch nicht in Vollzeit in der Klinik arbeiten, wenn mein Mann nicht so gute flexible Arbeitsbedingungen hätte und wir nicht zusätzlich noch viel Unterstützung durch die Großeltern vor Ort erhalten würden. Das sind Grundbedingungen, die haben viele andere so gar nicht zur Verfügung. Durch die Corona-Pandemie war es dann bei vielen Familien auch naheliegender, dass die Frauen, die doch „eh schon mehr zuhause sind“ dann auch überwiegend die zusätzliche Betreuung der Kinder übernehmen, hier haben sich die bestehenden Rollenbilder eher noch verfestigt und verstärkt. Und man darf auch nicht vergessen, dass insbesondere unter den alleinerziehenden Eltern der Anteil der alleinerziehenden Mütter wesentlich höher ist – diese Mütter trifft die Corona-Situation natürlich ganz besonders hart”, so Stephanie Tieden.

„Hättest du halt keine Kinder bekommen”

Die Nerven liegen derzeit bei vielen Menschen blank. Zusätzlich zur Mutterrolle kommt nun die Rolle der Lehrerin und Trainerin hinzu. Dazu kommt noch das Ersetzen des Freundeskreises und der sozialen Kontakte. Zudem der Druck immer für alles parat zu stehen. Und wenn dies nicht der Fall ist, bekommen viele Frauen den Kommentar „Hättest du halt keine Kinder bekommen”.

„Letztlich ist das ja Abwertung pur. Spannend ist auch, dass solche Kommentare überwiegend Frauen zu hören bekommen, Männer doch eher selten. In unserer Gesellschaft ist häufig generell sehr verbreitet, dass es selbstverständlich und normal ist, als Frau all die genannten Rollen innerhalb der Familie zu übernehmen, dafür aber eben keine entsprechende Anerkennung mehr zu bekommen. Durch die Corona-Pandemie sind die Belastungen gestiegen, die Anerkennung aber definitiv nicht. Viele fühlen sich aktuell sehr alleine gelassen von Politik und Gesellschaft, haben den Eindruck, übersehen und in all der gesteigerten Anforderung gar nicht mehr ernst genommen zu werden. Das kann dann schnell zur Verstärkung von vielleicht schon vorhandenen Selbstwertproblemen und Selbstzweifeln führen”, so die Oberärztin. „Viele Eltern und Familien haben sowieso schon vor Corona nur ein sehr wackeliges Gleichgewicht zwischen Belastung einerseits und Kompensationsmöglichkeiten beziehungsweise Ressourcen, das heißt Möglichkeiten zum Kraft-Schöpfen, Regenerieren, gehalten. Durch Corona ist dieses Gleichgewicht jetzt eindeutig gekippt. Das Fatale an der aktuellen Situation ist ja, dass die Belastungen und Anforderungen mehr werden, während die Möglichkeiten zum Ausgleich und zur Unterstützung gleichzeitig drastisch gesunken sind. Haushalt, Berufstätigkeit, Betreuung der Kinder, Homeschooling, bei vielen Familien auch noch finanzielle Belastungen und starke Zukunftssorgen bei unsicherer beruflicher Situation der Eltern oder drohender Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit. Daneben aber kein Ausgleich mehr, fast alles, was viele Menschen heute zum Wohlbefinden nutzen, Schwimmbad, Sauna, Kino, Sportgruppen, ein Yoga-Kurs, eine Eltern-Kind-Gruppe, das Treffen von Freunden, das ist fast alles ersatzlos weggefallen und viele befinden sich seit Wochen gefühlt alleine mit ihren Kindern. Und das überwiegend zuhause. Das haben im ersten Lockdown viele noch als positiv erlebt, aber jetzt wird es zermürbend, vor allem weil aktuell die Perspektiven fehlen, wie es weitergeht. Aktuell berichten viele, dass sie sich in einer Endlosschleife fühlen. Das ist frustrierend und schlägt auch auf die Stimmung. Und man darf nicht vergessen, dass bei vielen auch die Unterstützung der Großeltern nicht mehr wie früher möglich ist, weil diese zum Beispiel zur Risikogruppe gehören und Abstand halten müssen. Wenn dann sowieso schon einige andere Faktoren, die eine Depression begünstigen können, vorliegen, dann kann durch Corona und die zunehmende Belastungssituation eine Depression entstehen”, erklärt Stephanie Tieden.

Signale einer Depression erkennen

Hier müssen die Alarmsignale für eine beginnende Depression erkannt werden, sind sich Spezialisten sicher. „Typische Symptome einer depressiven Symptomatik sind: Eine länger bestehende gedrückte Stimmungslage, Schlafstörungen (nicht einschlafen können oder früher/häufiger aufwachen), weil im Kopf noch so viele Gedanken und Sorgen kreisen oder weil der Körper sich innerlich unruhig anfühlt. In all dem Alltagstrubel gar keine Zeit mehr für sich haben, beziehungsweise wenn man sie dann hat, damit nichts mehr anfangen können, weil man auch zu früher angenehmen Dingen wie Lesen, Sport und so weiter überhaupt keine Lust mehr hat oder der Antrieb fehlt. Ängste, die immer stärker werden, man gefühlt in negativen Denkschleifen festhängt und gar nicht mehr in der Lage ist, sich an etwas wie früher zu freuen, sich ständig erschöpft und kraftlos fühlt, vielleicht auch eine innere Leere und das zunehmende Gefühl bekommt, dass doch eh alles sinnlos ist. Bei vielen Menschen bestehen in einer Depression auch starke Selbstzweifel, Konzentrationsstörungen, Hoffnungslosigkeit, Schuld- und Versagensgefühle, Appetitstörungen (weniger Appetit, aber manchmal auch Frustessen) und manchmal auch Suizidgedanken”, erklärt Stephanie Tieden.

„Wer solche Symptome nicht nur vereinzelt, sondern über mehrere Wochen bei sich bemerkt, sollte sich frühzeitig Hilfe suchen. Wichtig ist, nicht allein zu bleiben, sondern sich anderen mitzuteilen, wenn es geht, natürlich Vertrauenspersonen wie dem Partner oder Angehörigen und Freunden, aber auch die Hausärztin kann ein guter erster Ansprechpartner sein”.

Auch die Telefonseelsorge kann ein guter Anlaufpunkt sein, wenn man sich in einer akuten Krise befindet und einfach jemanden zum Reden braucht (0800 111 0 111 oder 0800 0 222 - rund um die Uhr kostenfrei erreichbar). Sowohl auf der Homepage der

Klinik

oder auch bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe finden sich hilfreiche Informationen.

„Aktuell haben wir im Bezirkskrankenhaus Bayreuth auf der Depressionsstation seit dem Sommer häufiger Frauen gehabt, bei denen alle oben genannten Belastungsfaktoren durch Corona zutrafen. Natürlich kann man nicht einfach sagen, dass jemand ausschließlich aufgrund der Corona-Situation schwer depressiv wird, denn bei depressiven Störungen handelt es sich meist um multifaktorielle Prozesse mit verschiedenen Einflussfaktoren. Aber bei vielen derer, die sich aktuell bei uns in Behandlung befinden, war die Corona-Situation quasi der berühmte „letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat“, so die Oberärztin. „Auch die Behandlung von Depressionen durch die Corona-Pandemie ist nicht einfacher geworden. Vieles, was gerade bei Depressionen sehr hilfreich und wichtig wäre, ist aufgrund der Pandemie nicht möglich: Normalerweise ermuntern wir die Patienten, sich aktiv unter die Leute zu begeben, sich nicht einzuigeln, soziale Kontakte zu knüpfen. Sportliche Aktivitäten, Bewegung, vor allem eben auch in Gruppen, wird von vielen Patienten als hilfreich erlebt. Zur wichtigen „Selbstfürsorge“ können auch Besuche von Sauna, Schwimmbad, Massagen, Kino oder Restaurantbesuche mit Freunden hilfreich sein – das ist derzeitb aber alles nicht möglich”, erklärt Stephanie Tieden.


Von Jessica Mohr
jm
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