Doreen Spiegel lebt seit 2011 in Bayreuth. Geboren ist sie in einem kleinen Ort in der Nähe von Sonneberg in Thüringen. Nach 34 Jahren Wiedervereinigung ist die damalige Euphorie vielerorts, vor allem in ihrer Heimatregion, verloren. Nicht bei Doreen Spiegel: Sie sieht weiterhin nur den großen Gewinn, schätzt die Freiheit und die Vielfalt der Möglichkeiten.
Bei der Wiedervereinigung 1990 war Doreen erst zwölf Jahre alt. Sie wuchs direkt an der Grenze auf, mit dem ständigen Bewusstsein, dass die Freiheit nur wenige Meter entfernt, aber unerreichbar war: „Ich habe oft über den Grenzzaun geschaut und drüben ein kleines Haus gesehen. Ich habe mir gewünscht, einfach mal auf die andere Seite zu gehen.“
Ihre Kindheit beschreibt sie als frei. Zuhause gab es keine Verbote, doch in der Schule musste man vorsichtig sein. „Einmal habe ich erwähnt, dass wir westdeutsche Musik hören. Sofort bekam ich Angst, meine Eltern könnten in Schwierigkeiten geraten. Mein Großvater arbeitete bei der NVA. Ich erlebte hautnah mit, wenn er nachts zum Einsatz gerufen wurde, weil Menschen versuchten, über die Grenze zu fliehen. Diese Erinnerungen sind noch immer schmerzhaft in mir.“
Mit 16 Jahren absolvierte
Doreen ihre Ausbildung zur Friseurin in Coburg, 18 Kilometer von ihrem Heimatort entfernt. Später zog sie, der Liebe wegen, nach Bayreuth und baute sich hier ein neues Leben auf. Als die Liebesbeziehung zerbrach, fand sie Halt im neuen Freundeskreis. Zurück in den Osten wollte sie nicht mehr. Sie hatte inzwischen eine weitere Ausbildung zur Altenpflegerin absolviert und arbeitet heute im Klinikum. Doch ihre kreative Ader ließ sie nicht los.
„Früher habe ich schon mal Möbel restauriert, jetzt male ich“, sagt sie. Malen bedeute Selbstverwirklichung und das Gefühl „Fast alles scheint möglich“. Die erste Ausstellung fand vor zwei Jahren im Art Space in der Friedrichstraße statt, eine weitere im früheren Immobilienbüro Engel & Völkers. Im vergangenen Jahr wurden Ausstellungsräume in der Sophienstraße angemietet. Derzeit sind Bilder bei RE/MAX Immobilien in der Kulmbacher Straße zu sehen. Für Ende des Jahres ist eine weitere Ausstellung geplant.
„Gefreut hat mich, dass meine Bewerbung für die diesjährige Sommerausstellung des Kunstvereins Bayreuth in der Eremitage erfolgreich war und ich mit einem Bild vertreten sein konnte“, sagt Doreen. Sie freut sich, dass ihre Kunst auch Käufer findet. Auch Auftragsarbeiten hat sie angenommen. Von der Kunst leben, will sie nicht – Zeit haben für die Malerei aber schon.
Die Unzufriedenheit vieler Menschen im Osten versteht sie nicht. Eine Erklärung sei vielleicht die Angst vor dem Verlust – eine Angst, die wohl aus früheren Zeiten stamme.
Die Erinnerung an den ersten Grenzübertritt mit ihren Eltern ist auch bei Doreen noch lebendig. „Es war November 1989, kalt und ich habe gefroren – aber ich war glücklich.“ Sie erinnert sich an die bescheidenen Verhältnisse damals: Fünf zugeteilte Bananen für fünf Familienmitglieder und die Milka-Schokolade aus dem Intershop, die mit der Mutter geteilt und im Kühlschrank rationiert wurde.
„Die Grenzöffnung hat mich rebellisch gemacht, ich wollte nur noch rüber.“ Die positiven Gefühle waren wunderschön. Viele suchten die Veränderung. Von dieser Herzlichkeit ist inzwischen leider wieder einiges verloren gegangen. Zahlreiche Betriebe im Osten mussten schließen, das verbitterte, brachte aber auch Chancen. Meine Eltern beispielsweise, haben geschuftet, deshalb gut verdient und konnten sich was leisten.
Der Spruch „Du aus dem Osten“, stört sie nicht. „Ich lebe in einem tollen Umfeld und bin happy. Ich kann meine Meinung frei äußern. Das stimmt mich positiv. Fast alles scheint im vereinigten Deutschland möglich“.