Veröffentlicht am 10.02.2023 13:55
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Signale ins Gehirn schicken

Signale ins Gehirn schicken (Foto: red)
Signale ins Gehirn schicken (Foto: red)
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BAYREUTH.

So breit gefächert, wie Depressionen selbst, sind mittlerweile die Behandlungsmöglichkeiten der Erkrankung. Wer denkt, Depressionen sei nur mit Psychopharmaka und Psychotherapie beizukommen, der irrt. Erhebliche Bereicherungen der Depressionsbehandlung der vergangenen zehn Jahre sind der Patientenversorgung unmittelbar zugutegekommen. Und zwar mit ganz neuen Ansätzen und Methoden, sagt Dr. Johannes Kornacher. Er leitet das Depressionszentrum sowie das Zentrum für Neurostimulation und Ketaminbehandlung am Bezirkskrankenhaus Bayreuth.

Welche Depressionsbehandlungen werden am Bezirkskrankenhaus Bayreuth angeboten?

Dr. med. Johannes Kornacher: Neben den unverzichtbaren Behandlungsbausteinen Psychotherapie und der gängigen medikamentösen Behandlung können wir jetzt die in den vergangenen Jahren etablierte Ketaminbehandlung anbieten und darüber hinaus sogenannte Hirnstimulationsverfahren wie die klassische hochwirksame Elektrokonvulsionstherapie (EKT), die repetitive transcranielle Magnetstimulation (rTMS) und seit eineinhalb Jahren auch die Vagusnervstimulation (VNS).

Welche Rolle spielt der Vagusnerv in unserem Körper?

Dr. Kornacher: Mit seinen Kernen in zentralen Gehirnbereichen ist er für die unwillkürliche Steuerung aller Organfunktionen des Körpers über das sogenannte vegetative Nervensystem verantwortlich. Atmung, Herz und Kreislauf sowie das Verdauungssystem sind hier die Bekanntesten. Er reguliert die lebenserhaltenden Körperfunktionen im Wesentlichen über Nervenfasern, die vom Gehirn ausgehend Impulse in den Körper abgeben und Signale zurück ins Gehirn senden.

Wie funktioniert die Vagusnervstimulation?

Dr. Kornacher: Man stimuliert diejenigen Anteile des Vagusnervs, die Impulse aus der Peripherie in das Gehirn leiten. Über eine Stimulation der Vagusnervkerne im Gehirn bewirkt man so indirekt eine Stimulation der mit ihnen verschalteten wesentlichen zentralen Gehirnregionen. Dafür werden feine Elektroden durch einen kleinen neurochirurgischen Eingriff dort am linken Vagusnerv platziert, wo dieser leicht zugänglich durch die linke Halsregion verläuft. Ein Kabel führt zu dem kleinen Generator, der wie ein Herzschrittmacher über dem linken Brustmuskel implantiert, wird. Das gesamte System befindet sich unter der Haut und stört im Alltag nicht, stellt auch kein maßgebliches kosmetisches Problem dar. Eine computergesteuerte Fernbedienung ermöglicht mittels einer Software die nichtinvasive, berührungsfreie Programmierung und Funktionsprüfung, die nach der Operation im Rahmen der ambulanten psychiatrischen Weiterbehandlung durch unser Zentrum für Neurostimulation und Ketaminbehandlung erfolgt.

Wie genau wirkt diese Behandlung dann auf die Depressionen ein?

Dr. Kornacher: Durch die indirekte Stimulation zentraler Hirnregionen erfolgt eine Modulation der damit verschalteten zentralen Regelkreise des Gehirns, bei denen es durch die Depression zu einer Fehlfunktion gekommen ist. Eine solche Fehlfunktion ist prinzipiell durch jegliche Art der Neurostimulation, also auch durch EKT und rTMS, beeinflussbar, so dass es im besten Fall zu einer Korrektur und Normalisierung kommen kann. Die dadurch ausgelösten Symptome der Depression können sich so bessern, was durch die VNS bei etwa der Hälfte der Patienten auch eintritt.

Bei welchen Depressions-Patienten kann man diese Art von Behandlung anwenden?

Dr. Kornacher: Bei Patienten mit sogenannter schwer behandelbarer oder auch therapieresistenter Depression, bei denen Psychotherapie, unterschiedliche Antidepressiva und Elektrokonvulsionstherapie zu keiner oder zu einer nur vorübergehenden Besserung geführt haben.

Kann man die VNS quasi als bahnbrechende Behandlungsmöglichkeit und Rettungsanker für viele verzweifelte Depressionspatienten sehen?

Dr. Kornacher: Diese Formulierung lässt quasi an ein Wundermittel denken. Das gibt es nicht. Aber die Vagusnervstimulation kann Patienten helfen, die auf eine konsequent durchgeführte leitliniengerechte Depressionsbehandlung einschließlich Ketamin und andere Stimulationsverfahren, wie die erwähnte Elektrokonvulsionstherapie oder die Magnetstimulation, nicht angesprochen haben.

Muss man trotzdem noch Medikamente nehmen?

Dr. Kornacher: In aller Regel werden Patienten, für die eine VNS in Frage kommt, seit längerem und oft auch mit gewissem Erfolg, mit Medikamenten vorbehandelt. Diese sollte man keines absetzen oder reduzieren, wenn man eine Entscheidung für eine VNS getroffen hat. Zum einen kann eine ausreichende Wirkung der VNS nicht garantiert werden kann, zum anderen dauerte es in der Regel Monate, bis die VNS-Behandlung Wirkung zeigt. Und sie ist selbst dann möglicherweise nicht alleine ausreichend, um zu einem zufriedenstellenden Therapieergebnis zu kommen. Wer langfristig gut auf die VNS anspricht, kann Medikamente möglicherweise etwas reduzieren. Insbesondere wenn Nebenwirkungen der Medikamente die Lebensqualität beeinträchtigen oder eine Therapieänderung sogar notwendig machen.

Läuft die VNS ein Leben lang oder genügt eine zeitweise Behandlung?

Dr. Kornacher: Grundsätzlich ist die VNS auf eine langfristige Behandlung angelegt. Wie alle Behandlungsverfahren – außer eventuell der Psychotherapie und konsequenter Anwendung achtsamkeitsbasierter Verfahren – heilt auch die VNS die Depression nicht, sondern sie lindert Symptome und kann sie bestenfalls weitestgehend unterdrücken. Beendet man die Behandlung vorzeitig vor Ablauf mehrerer Jahre, muss man damit rechnen, dass die Symptome wieder auftreten.

Hat das Bezirkskrankenhaus Bayreuth eine herausragende Rolle in der VNS-Behandlung oder kann man das überall machen lassen?

Dr. Kornacher: Bis vor einigen Jahren wurde die VNS nur in wenigen spezialisierten Zentren angeboten und galt als experimentelles Verfahren. Mittlerweile gibt es für die Wirksamkeit der VNS eine zunehmend bessere Datenlage und gute Behandlungserfolge. In der psychiatrischen Regelversorgung ist die Anwendung dieses Behandlungsverfahrens allerdings derzeit noch die Ausnahme und wir sind zurzeit in Oberfranken der einziger Anbieter.

Wie kommt man als Depressions-Patient an diese Behandlung?

Dr. Kornacher: Die Indikationsstellung für eine VNS gehört in die Hände einer Fachärztin oder eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie mit Erfahrung bei der Anwendung der VNS, der zuverlässig geprüft hat, ob zuvor ausreichend wirksame medikamentöse und psychotherapeutische Behandlungsversuche durchgeführt wurden und der diese andernfalls anregt oder selbst durchführt. Gerade die hochwirksame EKT, die nach wie vor in Deutschland im internationalen Vergleich viel zu selten zur Anwendung kommt, sollte zuvor angewandt oder dem Patienten zumindest ernsthaft angeboten werden. Normalerweise sprechen Patienten auf eine solche Behandlung deutlich schneller an, als auf die VNS. Nach Zuweisung durch Fachärztinnen oder Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie prüfen wir in unserem Zentrum für Neurostimulation und Ketaminbehandlung entsprechend die Indikation.


Von Jessica Mohr

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