Das neue PSG II verwendet einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff (§§ 14,15 SGB XI). Seit dem 01.01.2017 erfolgt eine differenzierte Einteilung in fünf Pflegegrade statt bisher in drei Pflegestufen. Für den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff ist die Abkehr von der Zeitmessung für die Grundpflege und hauswirtschaftliche Hilfe charakteristisch und die Hinwendung zur Frage des Grades der Selbstständigkeit des Pflegebedürftigen bei der Bewältigung des Alltages. Der ursprüngliche Pflegebedürftigkeitsbegriff ging allein von den Basisaktivitäten des täglichen Lebens aus. Erfasst waren hier insbesondere die Bereiche der Körperpflege (z.B. Waschen, Duschen, Zahnpflege usw.), Ernährung (Zubereitung, Füttern usw.), Mobilität (An-/Auskleiden, zu Bett gehen usw.) sowie die hauswirtschaftliche Versorgung (Einkaufen, Kochen, Waschen der Wäsche usw.). Nach dem alten Begriff der Pflegebedürftigkeit war für das Vorliegen einer Pflegebedürftigkeit ein täglicher Hilfebedarf bei mindestens zwei Verrichtungen der Grundpflege erforderlich, der auch noch erheblich sein musste. Im neuen PSG II und III geht es nunmehr um die Selbsthilfefähigkeit einer Person unter Berücksichtigung von psychischen und kognitiven Beeinträchtigungen. Der reine Zeitaufwand spielt weniger eine Rolle als vielmehr die Fähigkeit der pflege- oder hilfsbedürftigen Personen, überhaupt ein selbstständiges Leben führen zu können. Mit dem neuen Gesetz sollen nunmehr auch die bislang nur unzureichend berücksichtigen Personen mit Demenz und anderen psychischen Erkrankungen bei der Zuordnung zu den Pflegegraden berücksichtigt werden. Stark vereinfacht gesagt, tritt Pflegebedürftigkeit in dem Augenblick ein, in dem die betreffende Person gesundheitlich bedingte Belastungen oder An-forderungen nicht mehr selbstständig kompensieren oder bewältigen kann und deshalb über einen längeren Zeitraum die Aktivitäten im Lebensalltag, die Krankheit oder die Gestaltung von Lebensbereichen nicht mehr alleine regeln kann und daher auf anderweitige Hilfe bzw. Unterstützung angewiesen ist. Die Betrachtung richtet sich daher nicht mehr auf den Zeitaufwand, sondern auf die Möglichkeit, den Lebensalltag zu bewältigen. Die Ausweitung des bisherigen Pflegebedürftigkeitsbegriffes wird auch Bedeutung für den Begriff der Pflegeleistungen im Erbrecht haben. Die fortschreitende Alterung in der Gesellschaft wird entsprechende vertragliche Gestaltungen notwendig machen. Aber auch in Fällen, in denen umfangreiche Leistungen ohne Verträge erbracht wurden, wird sich die Frage stellen, wie diese Leistungen abzugelten sind. Besondere Relevanz werden Pflegeleistungen bei Verträgen wie Übertragung einer Immobilie oder eines Erbvertrages haben. Bei dem Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf Ergänzung des Pflichtteils wird sich verstärkt die Frage stellen, ob Schenkung, also Ausgleichspflicht, oder Pflegeleistung, also kein Anspruch, vorlag. Auch bei der gesetzlichen Ausgleichspflicht unter Abkömmlingen (§ 2057 a BGB), mithin der Frage, ob ein Kind wegen Pflege der Eltern „mehr“ verlangen kann als die Geschwister, wird der „neue“ Begriff eine Rolle spielen. Bei 3,4 Millionen Pflegebedürftigen (2017) dürften diese Fragen in Zukunft vermehrt die Gerichte beschäftigen.