Veröffentlicht am 25.04.2021 09:00
Veröffentlicht am 25.04.2021 09:00

Rechtlich wasserdichte Vorgaben?

Professorin Eva Lohse, Lehrstuhl Öffentliches Recht III der Universität Bayreuth. (Foto: red)
Professorin Eva Lohse, Lehrstuhl Öffentliches Recht III der Universität Bayreuth. (Foto: red)
Professorin Eva Lohse, Lehrstuhl Öffentliches Recht III der Universität Bayreuth. (Foto: red)
Professorin Eva Lohse, Lehrstuhl Öffentliches Recht III der Universität Bayreuth. (Foto: red)
Professorin Eva Lohse, Lehrstuhl Öffentliches Recht III der Universität Bayreuth. (Foto: red)

BAYREUTH . Am gestrigen Samstag trat die Änderung des Infektionsschutzgesetzes in Kraft, die eine bundeseinheitliche „Corona-Notbremse“ ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100, unter anderem mit nächtlichen Ausgangsbeschränkungen zwischen 22 und 5 Uhr, Einkaufen ab Inzidenz 150 nur noch mit Click & Collect und Schulschließungen ab Inzidenz 165 vorsieht. Von mehreren Seiten wurden Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Gesetz angekündigt. Zur Frage, ob das Infektionsschutzgesetz rechtlich haltbar ist, sprachen wir mit Professorin Eva Lohse vom Lehrstuhl Öffentliches Recht III der Universität Bayreuth.

Bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit geht es laut Professorin Eva Lohse darum, ob die Einschränkungen der Grundrechte der einzelnen Bürger verhältnismäßig angesichts des Zieles der Pandemiebekämpfung und des gesundheitlichen Schutzes der Allgemeinheit sind. Hauptproblem bei der Beurteilung durch das Bundesverfassungsgericht dürfte sein, dass es in Deutschland nach wie vor nur relativ wenige belastbare Daten in Bezug auf den Infektionsschutz gibt. Das Robert Koch-Institut (RKI) weiß letztlich nur in 30 Prozent der Fälle, wo Ansteckungen stattgefunden haben, bei 70 Prozent der Fälle liegt diffuses Ansteckungsverhalten vor. Für das Bundesverfassungsgericht bedeutet dies eine weitgehende Ungewissheit.

Bei der Prüfung einzelner Grundrechtseinschränkungen des Infektionsschutzgesetzes prüft das Bundesverfassungsgericht, ob es sich dabei um das mildeste effektive Mittel handelt oder ob es mildere Bestimmungen geben könnte, die aber nicht ausgeschöpft wurden. Solche Mittel könnten etwa eine Home-office-Pflicht oder „echte Kontaktbeschränkungen“ sein, bei denen man sich mit niemandem außer aus dem eigenen Haushalt treffen darf.

Auch dürfte die pauschale Anwendung etwa der Inzidenzen 100 oder 165 Thema für eine Prüfung sein. So wäre es denkbar, nicht die generelle Inzidenz für die Bewertung des Infektionsgeschehens in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt heranzuziehen, sondern etwa im Hinblick auf Schulschließungen die Inzidenz in der jüngeren Altersgruppe. Differenzierungen könnte es auch geben müssen, wenn Ausbruchscluster klar feststellbar sind, etwa in einer Fleischfabrik.

Darüber hinaus wird das Zusammenwirken der einzelnen Vorgaben geprüft, also ob eine für sich alleine betrachtet vielleicht als weniger wirksam eingeschätzte Maßnahme im Zusammenspiel mit anderen Vorgaben durchaus verhältnismäßig sein kann. Ob es zur Beurteilung der jeweiligen Situation auch angebracht ist, neben der Sieben-Tage-Inzidenz auch weitere Indikatoren wie den Reproduktionswert oder die Situation auf den Intensivstationen heranzuziehen, könnte sich das Bundesverfassungsgericht ebenso wissenschaftliche Expertise einholen.

Das Ergebnis der Überprüfung des Infektionsschutzgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht ist laut Professorin Eva Lohse schwer vorherzusagen, da einfach durch die Virusmutationen eine sehr schwierige Phase des Pandemiegeschehens vorliegt. Eine sehr wichtige Fragestellung, auch für die kommenden Monaten, wird der Umgang mit vollständig geimpften Menschen sein. „Letztlich werden sich Grundrechtseinschränkungen für vollständig geimpfte Personen nicht mehr rechtfertigen lassen, wenn wissenschaftlich nachgewiesen ist, dass ein Geimpfter nicht nur nicht mehr schwer erkranken kann, sondern auch das Virus nicht mehr an andere weitergibt“, so Professorin Lohse.

In jedem Fall werden die Grundrechtseinschränkungen aufgehoben werden müssen, wenn allen Menschen in Deutschland ein Impfangebot gemacht wurde. Dies soll nach Aussagen der Politik bis zum Ende des Sommers der Fall sein. Es gebe keine Impfpflicht. Wer sich allerdings gegen eine Impfung entscheide, tue dies letztlich auf eigene Gefahr, so die Juraprofessorin.

Ob es auch schon vor einem Impfangebot an alle Vorrechte für vollständig Geimpfte geben kann, sei eine sehr interessante Fragestellung, da sich hier auch die Gerechtigkeitsfrage stelle. Zu prüfen wäre etwa, ob Restaurants für vollständig Geimpfte öffnen könnten, zumal wenn auch der Wirt und Personal Impfschutz vorweisen können. Ob ein negativer Coronatest letztlich der vollständigen Impfung gleichgestellt werden kann, ist angesichts der zum Teil recht unspezifischen Tests ebenfalls eine herausfordernde juristische Fragestellung.


Von Roland Schmidt
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