BAYREUTH. Es liegen drei heftige Monate hinter der Klinikum Bayreuth GmbH. Corona hat die Arbeit und Pflege der Patienten innerhalb kürzester Zeit auf links gedreht und nicht nur Ärzte und Pflegekräfte vor enorme Herausforderungen gestellt. Dr. Thomas Bollinger ist Leitender Hygienearzt im Klinikum Bayreuth. Bei ihm liefen und laufen noch immer alle Fäden zusammen. Seine Aufgabe: Die Ansteckungsgefahr für Mitarbeiter und Patienten so gering wie möglich halten. Wie er diese Zeit erlebt hat und welche Herausforderungen uns noch immer bevorstehen, darüber spricht er in diesem Interview. Herr Dr. Bollinger, wie haben Sie die letzten Monate erlebt? Dr. Bollinger: Die letzten Monate, insbesondere von März bis Mai, waren sehr arbeitsreich und rasant – mit einer hohen psychischen Belastung für uns alle. Es war eine enorme Herausforderung, bei den häufig wechselnden Empfehlungen durch das Robert-Koch-Institut und andere Behörden den Überblick zu behalten und daraus eine stringente Organisation der Abläufe im Haus abzuleiten. Der größere Kraftakt war es aber, diese Informationen zeitnah an die Mitarbeiter weiterzugeben, um als Einheit auf Ballhöhe zu bleiben. Die Mitarbeiter haben hier teils Enormes geleistet. Und auch unsere Patienten haben überwiegend großes Verständnis bewiesen. Das hat uns sehr geholfen. Was hat gut geklappt, woraus sollte man lernen? Wir haben innerhalb kürzester Zeit ein funktionierendes System aus Triage, Isolierung und Behandlung für COVID-19- und Verdachtspatienten aufgebaut. COVID-19 ist ein sehr heterogenes Krankheitsbild. Das macht die Einteilung oft schwierig. In den vergangenen drei Monaten haben wir rund 3.000 Verdachtsfälle gehabt. Nur etwa fünf Prozent waren tatsächlich erkrankt. Vielleicht kann man uns vorwerfen, wir seien zu vorsichtig gewesen. Doch bereits ein einziger nicht erkannter COVID-19-Patient oder -Besucher würde als Ausgangspunkt für einen Ausbruch reichen. Daher sind auch die Besucherkontrollen wichtig und richtig. Diese haben Patienten und ihren Angehörigen viel abverlangt, das wissen wir. Aber die Vorsicht hat sich für alle ausgezahlt: Ansteckungen im Haus hat es nicht gegeben. Derzeit gibt es kaum Fälle, kehrt man jetzt zur Normalität zurück? Es stimmt, derzeit sind die Fallzahlen gering. Das verschafft uns Zeit, um Handlungsweisen zu überdenken und zu optimieren. Aber wir sind weiterhin in „Hab-Acht-Stellung“. In beiden Betriebsstätten halten wir Bettenkapazitäten für Verdachtsfälle und COVID-19-Patienten frei und testen Patienten konsequent auf SARS-CoV-2. Derzeit kann niemand sagen, ob und wann es wieder losgeht, aber es gilt noch immer: Wir haben keine sicher wirksame kausale Therapie und keine Impfung. Das Einhalten von Hygienemaßnahmen ist derzeit das einzige Mittel, um die Fallzahlen gering zu halten, eine Überlastung unserer Intensivkapazitäten zu verhindern und unsere Patienten und unser Personal zu schützen. Der Blick in Länder wie Israel zeigt, wie schnell eine scheinbar unter Kontrolle gebrachte Pandemie eskalieren kann. Das wollen wir in jedem Fall verhindern. Welche Hausaufgaben hat die Klinikum Bayreuth GmbH jetzt? Derzeit machen wir eine Nach-lese, erstellen Nachschlagewerke für unsere Mitarbeiter mit allen Regeln im Zusammenhang mit COVID-19 und überarbeiten unseren Pandemieplan mit Blick auf die kalten Wintermonate. All diese Dinge sollen zu einer verbesserten Organisation in einer möglichen nächsten Welle führen. Wie groß ist der Spagat zwischen Rückkehr zum „Normalbetrieb“ und Vorbereitung auf eine zweite Welle? Nicht-Notfallpatienten, die in den vergangen Wochen nicht oder nur zum Teil behandelt werden konnten, müssen jetzt möglichst schnell versorgt werden. Wir müssen die Zeit jetzt nutzen, dürfen aber eine mögliche zweite Welle nicht aus den Augen verlieren. Dabei sind wir immer wieder gefordert, uns nach der Verhältnismäßigkeit zu fragen. Und die lässt sich leider in der Situation selbst nur schwer beurteilen. Lockert man die Maßnahmen zu sehr, kann es schnell unkontrollierbar werden. Reguliert man zu stark, werden Maßnahmen im Nachgang als unverhältnismäßig bewertet. Die sehr unterschiedlichen Pandemie-Situationen in der Welt zeigen deutlich, dass der Grat, auf dem wir wandeln, schmal ist. Wie glauben Sie, wird sich die Situation nach den Sommerferien entwickeln? Ich würde in den Sommerferien die Gefahr für kleinere Ausbruchsszenarien sehen, die wir vermutlich mit den etablierten Maßnahmen unter Kontrolle bringen werden. Im Winter, wenn die Grippe-Zeit beginnt, könnte es problematischer werden, da nach unseren bisherigen Erfahrungen Doppelinfektionen von SARS-CoV-2 und beispielsweise Influenza häufiger schwer verlaufen. Wir sollten daher bereits jetzt unseren Blickwinkel ändern. Weg von einem Kampf gegen Corona, hin zu einem Leben mit Corona. Das heißt: Abstand halten, einen Mund-Nasen-Schutz tragen, die Niesetikette und Händehygiene einhalten und uns möglichst gegen Influenza, also Grippe, impfen lassen. Denn COVID-19 wird uns weiter begleiten. Wir können nur entscheiden, wie wir damit umgehen.