BAYREUTH. Sind Beatmungsgeräte für Covid-19-Patienten eher eine Gefahr, als eine Hilfe? Darüber wird jetzt öffentlich und in den Medien spekuliert. Prof. Dr. Jörg Reutershan, Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin der Klinikum Bayreuth GmbH, hat dazu eine klare Meinung. Hier ist sie: Die aktuell geführte Diskussion über Fluch und Segen der Beatmungstherapie bei an Covid-19 erkrankten Patienten greift deutlich zu kurz und kann der Komplexität einer modernen Intensivmedizin kaum gerecht werden. Die Fortschritte sind offensichtlich Dass maschinelle Beatmung die Lunge schädigen kann, ist Basiswissen eines jeden Intensiv- mediziners. Seit vielen Jahrzehnten beschäftigen sich Forscher und Kliniker mit der Etablierung möglichst lungenschonender Beatmungsverfahren, um diese Schädigungen zu minimieren oder zu verhindern. Mit großem Erfolg. Die Sterblichkeit des akuten Lungenversagens ganz unterschiedlicher Ursache ist in den vergangenen 20 Jahren kontinuierlich gesunken. Wesentliche Kenngrößen der Beatmung auf der Intensivstation werden engmaschig überwacht und gegebenenfalls korrigiert – und zwar rund um die Uhr. Die Optimierung der Beatmungstherapie, einschließlich der Reduktion ihrer Nebenwirkungen, gehört zu den großen Errungenschaften der modernen Intensivmedizin. Obwohl die zugrundeliegenden Regeln zunächst gleichermaßen für alle Patienten mit akutem Lungenversagen gelten, ist die Entscheidung über Beginn, Ausmaß und Dauer einer Beatmungstherapie stets eine Entscheidung für den individuellen Patienten. Die Schwere der Erkrankung fließt hier ebenso in die Entscheidung ein wie bestehende Vorerkrankungen, stattgehabte Operationen oder nicht zuletzt der individuelle Patientenwille. Covid-19 macht hier keine Ausnahme. Beatmung gibt der Lunge eine Chance Es ist korrekt, dass in der frühen Phase der Covid-Pandemie von einer nichtinvasiven Beatmung mittels Maske oder Helm aus Gründen des Mitarbeiterschutzes (höchstes Infektionsrisiko durch Freisetzung von Aerosolen) eher abgeraten wurde. Diese generelle Empfehlung dürfte sich tatsächlich so nicht aufrechterhalten lassen. Zahlreiche Patienten profitieren von dieser Art der Atemunterstützung und benötigen auch im weiteren Verlauf keine invasive Beatmung. Leider trifft das nicht für alle unsere Patienten zu. Eine relevante Gruppe ist durch Virus und Vorerkrankungen derart geschwächt und die Lunge nachweislich derart geschädigt, dass eine Spontanatmung nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Das Atemmuster dieser Patienten ist gekennzeichnet von Schnellatmigkeit gefolgt von rascher körperlicher Erschöpfung. Dieses spontane Atemmuster ist im Übrigen alles andere als lungenschonend. Erst die maschinelle Beatmung und ggf. ein Lungenersatzverfahren außerhalb des Körpers, erlaubt überhaupt eine lungenschonende Behandlung mit dem Ziel, dass sich Lungengewebe erholt und andere therapeutische Maßnahmen wirken können. Schädigung in erster Linie bei langer Dauer Es ist ebenfalls korrekt, dass nicht alle beatmeten Patienten überleben. Das gilt unabhängig von Covid-19 für alle schwer und schwerst erkrankten Patienten auf der Intensivstation. Die Todesursachen gerade bei Covid-19-Patienten sind vielfältig, Lungenembolien gehören ebenso dazu wie das Versagen weiterer Organe wie Niere und Leber. Welchen Verlauf einzelne Patienten nehmen, lässt sich nicht immer im Einzelnen vorhersagen. Mit großer Sicherheit lässt sich jedoch sagen, dass es nicht die Beatmung ist, die so schnell zum Tod führt oder die Patienten in der Akutphase schädigt. Sogenannte beatmungsassoziierte Schädigungen beziehen sich in erster Linie auf Langzeitverläufe und treten typischerweise – wenn überhaupt – nach mehreren Wochen oder Monaten auf.