Die Wirbelsäulenbeschwerden, somit auch Bandscheibenbeschwerden, sind die häufigste Ursache für Krankschreibungen in der Bundesrepublik Deutschland. Die Zahl der durchgeführten Wirbelsäulenoperationen steigt stetig. Oft stellt sich die Frage, was man neben Operationen tun kann. Wirbelsäule – mehr als die Summe aller Teile? Bereits der tschechische Arzt Vladimir Janda (1928-2002), der Begründer der modernen muskuloskelettalen Rehabilitation, beschrieb Funktionszusammenhänge um die Wirbelsäule herum. Dies ermöglicht das Verstehen der Wirkweise dieses komplexen Organes, dass sowohl Stabilität, als auch Beweglichkeit und zudem geschützten Durchlass für wichtige Gefäß- und Nervenbahnen bietet. Insbesondere erforschte er den Zusammenhang zwischen Innervation der Muskulatur der Füße und derjenigen der tiefen Wirbelsäulenmuskulatur. In neuerer Zeit wurden diese erfahrungswissenschaftlichen Erkenntnisse durch eine entsprechende statistische Forschung untermauert. Bereits 2017 beschreibt Kalichman die Bedeutung einer Schwäche spezieller tiefer Rückenmuskulatur für den Verlauf und die Prognose von Bandscheibenerkrankungen und Einengungen des Wirbelkanals. Dies wird von weiteren Forschern (derzeit vorliegend drei Studien seither) bestätigt. Praktischen Eingang finden diese Erkenntnisse in Behandlungskonzepten mancher Kliniken, z.B. in der Universitätsklinik St. Pölten in Österreich. Hier wird ein spezielles Trainingsprogramm zur Kräftigung dieser von außen am Körper nicht erkennbaren Muskulatur und eine Erfolgskontrolle durch Ultraschallmessung erfolgreich durchgeführt. Kalichman konnte zeigen, dass auch der Verlauf und somit die Operationsbedürftigkeit einer Einengung des Wirbelkanals der Lendenwirbelsäule, abhängig ist von der tiefliegenden Rückmuskulatur. Das heißt ein Auftrainieren dieser Muskeln vermeidet zumindest eine Verschlechterung. Wie erkennt man ein muskuläres Ungleichgewicht? Diese Muskelgruppen liegen tief im Körper und sind von außen nicht erkennbar. Auch wenn ein scheinbar athletischer Körperbau vorliegt, zeigen gewisse Tests in der orthopädischen und neurologischen Untersuchung, ob eine Schwäche dieser spezifischen Muskulatur vorliegen kann. Die Kernspinuntersuchung untermauert dies. Die in der Praxis oft gestellte Frage, „Warum muss ich die Socken ausziehen, ich komm doch wegen der Nackenschmerzen“ zeigt, dass mancher Patient erst eingeführt werden muss in die Zusammenhänge. Eine wirksame Behandlung wird erst möglich sein, wenn eine ausführliche Untersuchung und Berücksichtigung dieser Muskelketten erfolgt ist. Was kann man tun? Äußerst wichtig ist, die konservative Therapie auf den Grad der Beeinträchtigung, der Schmerzhaftigkeit und auch die muskulären und koordinativen Voraussetzungen des Patienten abzustimmen.Sodann kann ein abgestimmtes Konzept, stufenweise aufgebaut von speziellen Fußübungen nach Dr. Janda, über Gleichgewichtsübungen, bis hin zur allgemeinen Kräftigung, gewählt werden. Massagen und manuelle Therapie sind eingeführte Therapieformen. Das oben beschriebene muskuläre Ungleichgewicht beheben sie nicht. Das Konzept zunächst einer Entkrampfung verspannter Muskelgruppen, um dann im Weiteren eine Kräftigung aufzubauen, ist überholt. Bereits vom ersten Tag der krankengymnastischen Therapie muss auch ein Aufbau spezifischer Muskulatur erfolgen. Diese muss jedoch schmerzfrei und angepasst an den Zustand des Patienten erfolgen. Was kann ich selbst tun, damit mein Rücken gesund bleibt? Schmerztherapeutische Forschungen zeigen, dass die sogenannte Selbstwirksamkeit der Schlüssel zum Erfolg ist. Anders ausgedrückt, wer „aufrecht“ durchs Leben geht, hat länger etwas von seinem Rücken. Dies erklärt sich auch durch neuroanatomische Studien, die Hirnzentren für das seelische Wohlbefinden, in dem auch die Depression ihren Niederschlag fände, haben eine Vielzahl von Verknüpfungen zum Steuerzentrum der Wirbelsäulenmuskulatur im Kleinhirn, deren Bedeutung im Einzelnen noch nicht geklärt ist. Somit ist eine geistige Gesundheit immer auch Voraussetzung für eine körperliche. Ergänzend hilfreiche Trainingsformen sind all jene, die das Gleichgewicht schulen. Je nach Vorbildung und Gesundheitszustand können hier Tanzen, Skifahren, Slacklinen, Stand-Up-Paddleboard, Inlineskaten, die asiatischen Kampfsportarten mit Augenmerk auf Balance und Gleichgewicht, sowie Körperbeherrschung hilfreich sein. Gerade den betagteren Patienten rate ich Teilnahme am Thai Chi oder Yoga, dies sind in Kursen der Volkshochschulen und ähnlicher Einrichtungen verfügbare Betätigungsformen. Da es eben den Zusammenhang zum sogenannten limbischen System (Zentrum der seelischen Gesundheit) gibt, ist es sehr wichtig, dass diese Sportarten auch Spaß machen. Der etwas überkommene Spruch, „Medizin muss bitter schmecken, sonst wirkt sie nicht“, trifft in diesem Fall also nicht zu.