Die Tür ist geschlossen. Trotzdem kontrolliert der Mann immer und immer wieder, ob sie wirklich zu ist. Er rüttelt daran. Die Tür ist zu. Er macht sie auf, um sie gleich wieder zu schließen. Um sicher zu gehen, dass sie auch wirklich zu ist. Er weiß, dass es sinnlos ist, was er tut. Aber er muss es tun. Auch, wenn er Angst hat. Der Mann leidet unter einem Kontrollzwang, einer der vielen Formen von Zwangs-störungen. Was genau es mit diesem Krankheitsbild auf sich hat, wird Thema des nächsten Mittwochs-Vortrags am Bezirkskrankenhaus Bayreuth sein. Am 31. Juli wird dort von 16 bis 18 Uhr Prof. Dr. Dr. med. Martin Bürgy aus Stuttgart in der „Alten Wäscherei“ über die „Phänomenologie der Zwangsstörung – deskriptive, genetische und hermeneutische Aspekte“ referieren. Professor Bürgy ist Ärztlicher Leiter des Zentrums für Seelische Medizin am Klinikum Stuttgart und dort auch Ärztlicher Direktor der Klinik für Spezielle Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie. Am Bezirkskrankenhaus Bayreuth finden Menschen mit Zwangsstörungen Hilfe auf der Station für Psychosomatische Medizin und Psycho-therapie unter der Leitung von Dr. med. Michael Purucker. Er gibt hier einen Einblick in das komplexe Krankheitsbild: BTSZ: Was ist eine Zwangsstörung? Dr. Purucker: Unter einer Zwangsstörung wird eine psychische Erkrankung verstanden, die mit folgenden typischen Symptomen verbunden sein kann: Zum einen Zwangsgedanken, also Ideen, Vorstellungen oder gedankliche Impulse, die den Betroffenen wieder und wieder beschäftigen, fast immer quälend sind und als abstoßend empfunden werden. Die betroffene Person versucht erfolglos, diesen Gedanken Widerstand zu leisten. Weiterhin können Zwangshandlungen auftreten. Das heißt, ständig wiederkehrende Handlungsmuster. Auch sie werden weder als angenehm empfunden, noch dienen sie dazu, nützliche Aufgaben zu erfüllen. Der Betroffene erlebt die Zwangshandlungen wie eine Vorbeugung gegen ein objektiv unwahrscheinliches Ereignis, das ihm Schaden bringen oder bei ihm oder anderen Unheil anrichten könnte. Dieses Verhalten wird im Allgemeinen als sinnlos und ineffektiv erlebt, so dass sich die Betroffenen immer wieder versuchen, dagegen zu stellen. Patienten mit Zwangsstörungen erleben meistens Ängste. Werden die Zwangshandlungen unterdrückt, verstärkt sich die Angst deutlich. BTSZ: Wann ist etwas „nur eine Angewohnheit“ und wann „Zwang“? Dr. Purucker: Eine bloße Angewohnheit eines Menschen löst in ihm prinzipiell keine Ängste aus und wird nicht als sinnloses Verhalten wahrgenommen. Eine Zwangshandlung dagegen wird als sinnlos empfunden und ist mit Ängsten verbunden. So kann die Angewohnheit, beispielsweise die Verschlossenheit einer Türe zu kontrollieren, ziemlich sicher von der zwanghaften Kontrollhandlung, mehrfach an der Tür zu rütteln oder zur Tür zurückzugehen, über den Leidensdruck differenziert werden, den diese Handlung auslöst. Arten von Zwängen: Häufig zeigen Zwangsgedanken oder -handlungen einen Bezug zu folgenden Themenbereichen: - Ängste vor einer Infektionserkrankung (wie HIV) - Ängste, andere Menschen durch aggressive Handlungen zu schädigen (Gedanken, jemanden auf die Straße zu stoßen) - Ängste vor Verschmutzung und damit verbundener Erkrankung - Ängste vor Handlungen, die mit bestimmten Zahlen assoziiert sind (Beispiele: nur jede ungerade Stufe betreten; immer nur durch drei teilbare Mengen an Broten essen). - Ordnungs- und Kontrollzwänge (verbunden mit der Angst, dass bei Eintreten von Unordnung etwas Gefährliches passieren könnte; zum Beispiel bei fehlender Kontrolle des Wasserhahnes Überschwemmung der Wohnung des einen Stock tiefer wohnenden Mieters) - Ängste, jemanden mit dem Auto überfahren zu haben. Ursachen und Diagnostik: Die Ursachen für eine Zwangserkrankung können im Einzelfall sehr unterschiedlich sein. Eine für alle Zwangserkrankung zutreffende Erklärung der Krankheit gibt es daher trotz intensiver Forschung und langjähriger psychotherapeutischer Erfahrung bisher nicht. Zwangsgedanken oder -handlungen entstehen meist im Zusammenhang mit einer bereits existierenden starken inneren Anspannung, wie Ängsten vor Bestrafung, Ausgrenzung oder auch in Verbindung mit traumatischen Erfahrungen. Zwangssymptome können auch bei Patienten mit psychotischen Erkrankungen vorkommen. In jedem Fall ist eine psychiatrische und psychotherapeutische Untersuchung mit eingehenden Gesprächen zu den Symptomen und der Krankheitsentwicklung angezeigt. Behandlung: Zwangsstörungen werden heute sowohl psychotherapeutisch als auch medikamentös, in sehr schweren Einzelfällen im Rahmen wissenschaftlicher Studien auch mit elektrobiologischen Verfahren (Stimulation bestimmter Nervenzellgruppen in subcortikalen Hirnstrukturen) behandelt. In schweren Fällen ist eine stationäre Psychotherapie in einem Fachkrankenhaus für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie nötig. Die Behandlung einer Zwangserkrankung ist komplex, denn zum einen bedarf es einer genauen Verhaltensanalyse zur Entstehung der Krankheit, zum anderen einer intensiven Klärung der lebensgeschichtlichen Entwicklung, um belastende Erfahrungen in der Kindheit und Jugend zu erkennen. Außerdem ist eine Auseinandersetzung mit den Symptomen nötig, beispielsweise auch durch therapeutisch begleitete Übungen zur Bewältigung von Zwangsimpulsen. Zusammenfassend wird bei der Behandlung von Zwangsstörungen versucht, mit dem Betroffenen nach einer genauen Analyse der Zwänge einen Zusammenhang zu den bisher nicht wahrgenommenen Emotionen oder anderen psychischen Problemen herzustellen und davon ausgehend ein neues Verhalten zu entwickeln. Kontakt: Gesundheitseinrichtungen des Bezirks Oberfranken, Bezirkskrankenhaus Bayreuth, Nordring 2, 95445 Bayreuth Tel. 0921/283-0 Fax 0921/283-7002 bayreuth@gebo-med.de