Mit Urteil vom 14.05.2019 (Az. C-55/18) hat der EuGH entschieden, dass die Mitgliedstaaten Arbeitgeber verpflichten müssen, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von jedem Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Das Urteil wurde zunächst als eine Handlungspflicht des deutschen Gesetzgebers angesehen. Erstmalig hat sich nun ein deutsches Arbeitsgericht mit der vielbeachteten Entscheidung des EuGH zur Arbeitszeiterfassung auseinandergesetzt (ArbG Emden, Az. 2 Ca 94/19). In dem zu entscheidenden Fall war der Kläger als Bauhelfer tätig und fertigte eigene Arbeitszeitaufzeichnungen („Stundenrapporte“). Parallel hierzu erfasste auch der Arbeitgeber zusammen mit dem Kläger den Arbeitsbeginn und das Arbeitsende in einem Bautagebuch. Der Arbeitgeber bezahlte die sich aus dem Bautagebuch ergebende Arbeitszeit. Der Arbeitnehmer beanspruchte zusätzlich eine Überstundenvergütung auf Basis seiner Aufzeichnungen. Das Arbeitsgericht sprach dem Arbeitnehmer die zusätzliche Vergütung zu. Im Vergütungsprozess besteht eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast. Der Arbeitnehmer muss zunächst vortragen, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat. Danach obliegt es dem Arbeitgeber, sich seinerseits substantiiert zum Vortrag des Arbeitnehmers zu erklären und darzulegen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat und an welchen Tagen der Arbeitnehmer von wann bis wann diesen Weisungen - ggf. nicht - nachgekommen ist. Lässt sich der Arbeitgeber nicht substantiiert ein, so gilt der Sachvortrag des Arbeitnehmers insoweit gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (vgl. BAG, Urteil vom 21.12.2016 - 5 AZR 362/16). Nach Ansicht des Arbeitsgerichtes Emden ist der Arbeitnehmer seiner Darlegungslast durch Vorlage von Eigenaufzeichnungen nachgekommen. Der Arbeitgeber konnte den Vortrag des Arbeitnehmers nicht entkräften. Das Bautagebuch war hierfür nicht ausreichend, da es sich hierbei nicht um ein System zur tatsächlichen Erfassung der geleisteten Arbeitszeiten handelte. Das Arbeitsgericht führt aus, dass • der Arbeitgeber zur Einrichtung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems zur Arbeitszeiterfassung aufgrund einer unmittelbaren Anwendung von Art. 31 Abs. 2 der EU-Grundrechte-Charta verpflichtet ist und • es sich um eine vertragliche Nebenpflicht des Arbeitgebers handelt, die bei Verletzung dazu führen kann, dass die Arbeitszeitaufzeichnung des Arbeitnehmers als zugestanden gilt. Konsequenzen für die Praxis Es bleibt abzuwarten, ob weitere Arbeitsgerichte sich dieser Auffassung anschließen. Arbeitgeber sollten vorsorglich bereits vor Einführung einer deutschen Regelung ein nachvollziehbares Arbeitszeiterfassungssystem im Betrieb einführen. Eine stichhaltige Arbeitszeitdokumentation ist gerade in der momentanen Corona-Krisensituation bei der Beantragung von Kurzarbeitergeld sehr wichtig. Die Arbeitsagenturen sind angewiesen, Arbeitszeitunterlagen beim Arbeitgeber anzufordern. Sollten diese nicht existieren, dürfte es schwierig werden, den tatsächlichen Arbeitsausfall und die Voraussetzungen des Kurzarbeitergelds zu belegen. Dies betrifft auch Betriebe, in denen Vertrauensarbeitszeit gilt. Bestens beraten. www.zeitler.law